Herbst

Torbogen in Pompeji

Zum Einstieg in die dunkle Jahreszeit möchte ich gerne einen kurzen Auszug aus dem letzten, noch unveröffentlichen Buch des Schriftstellers Akron, das er zusammen mit seinem Seelenfreund Arjun verfasst hat, dem letzten Buch aus der “Trilogie des Sterbens” vorstellen. Wir alle werden einmal durch das Tor vom Dies- ins Jenseits schreiten. Der November, oft auch als Totenmonat bezeichnet, eignet sich dafür, den Ahnen zu gedenken, die schon vor uns auf die andere Seite gewechselt haben, aber er erinnert uns auch an unsere eigene Vergänglichkeit…

„Du sprichst in Rätseln …“

„Ich spreche vom Übergang zwischen den Welten, der von den Träumern von mehreren Seiten her passiert werden kann. Was du nicht weisst: Du bist nicht nur ein Individuum, das sich über sich selbst hinaus nach den Unsterblichen, den sogenannten ‚Goldenen‘ sehnt. Auch bist du ein Teil der Seele dieser goldenen Wesen selbst, die sich in den Menschen reflektieren und ihnen helfen, sich selbst zu verwirklichen. Schon die alten Weisen haben dieses Geheimnis geahnt. Wie sagten sie doch so schön: Wanderer und Weg sind eins!“

„Warum kann ich auf verschiedenen Ebenen dann nicht gleichzeitig und mehrdimensional wahrnehmen“, wollte ich wissen. „So wie du?“

„Du erfährst es doch eben selbst: Dein erwachter Teil hier oben versucht, das Trauma deines Alter Ego drunten auf der Strasse zu mildern.“

„Allmählich beginne ich zu verstehen …“

„Anstelle deiner unzufriedenen Suche nach Lebenssinn und Wahrheit hat ein Persönlichkeitsteil in dir einen Engel evoziert, und zwar mich, der dich gleichmütig zu den Pforten der Erkenntnis trägt. Ein logistischer Trick, die Wissbegier deiner Neugierde am Leben zu erhalten, bis der ‚Geist der Goldenen‘ dich findet und das Wissen ganz von selbst zu dir zurückkehrt. Eine ausgeklügelte Sache!“

„Aber eins will ich noch wissen“, zuckte es in mir, denn ich konnte den geistigen Reflex nicht unterdrücken, der darauf aus war, das alles ganz genau verstehen zu wollen. „Habe ich diesen anderen Teil jetzt freiwillig zurückgelassen oder hat mich jener zwingend vorausgeschickt? Habe ich den Sterbevorgang verdrängt oder den Geist wie in einer Flaschenpost vorangestellt, damit er mich am Ende der Reise an den Sinn meines Leidens erinnert?“

„Das bleibt sich gleich. Träumer verleihen ihren Träumen Erfüllungsraum, und so weiten sich ihre Inhalte in beide Richtungen aus.“ Die höhere Instanz sah mich durch meine eigenen Empfindungen an und darin lag so viel Melancholie, dass ich zu weinen begann. Ich schluchzte, denn ich spürte ganz deutlich die sachliche Hand der Vernunft, die mich Zeit meines Lebens der Flügel der Phantasie beraubte: „Träumer und Geträumte dringen ineinander ein und schaffen in ihren Bildern gleichzeitig für einander Raum.“

„Und wo endet der Traum?“, wollte ich auf beiden Ebenen wissen. Ganz allmählich verzog sich die Trauer und ich fühlte mich wieder frei.

„Du ahnst es schon – zwischen Anfang und Ende, Vergangenheit und Zukunft, Realität und Traum, und zwar in den Erinnerungen des ‚Schreibers‘, der am Ende der Reise noch einmal sein ganzes Leben rekapituliert. Die verschiedenen Ebenen sind zusammen die Wirklichkeit, die du erlebst“, vernahm ich die abschliessende Botschaft des Engels. „Begegnest du ihm auf der Strasse nach innen, würdest du zusammen mit ihm aus dieser Welt verschwinden. Begegnest du ihm hingegen in der träumerischen Sphäre, könntest du aus der Begegnung keinen Nutzen ziehen. Sagen wir es so: Du begegnest ihm in deiner ‚erinnerten Zukunft‘– eine sehr schlüssige und weitsichtige Vorwegnahme deines zukünftigen Todes.“ —